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Fast 70.000 Patienten jährlich werden in den Zentralen Notaufnahmen des St. Joseph- und des Franziskus-Krankenhauses behandelt.

· »Die bundesweite Nummer 116 117 ist vielen Menschen nicht bekannt«
Dr. Lydia Hottenbacher

Dr. Lydia Hottenbacher leitet als Chefärztin die beiden sehr unterschiedlichen Rettungsstellen. Im Interview spricht sie über die aktuelle Situation in den Notaufnahmen.

Frau Hottenbacher, über die Berliner Rettungsstellen wird viel in den Medien und auch den sozialen Netzwerken berichtet. Wie stark sind die beiden Notaufnahmen frequentiert, die Sie leiten?

Wir haben an beiden Standorten eine sehr unterschiedliche Situation. Im St. Joseph Krankenhaus ist die Belastung insbesondere am Wochenende und vermehrt auch nachts groß, wenn die Praxen der niedergelassene Ärzte geschlossen sind. Da einer unserer Schwerpunkte im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin liegt, haben wir fast zur Hälfte junge Patienten mit deren Eltern. Typisch sind Infektionen, Verdacht auf Brüche oder einfach nur Schmerzen unbekannter Ursache. Pro Jahr behandeln wir 54.000 Fälle. 2015/2016 waren wir zusätzlich sehr stark in die notfallmedizinische Versorgung der Flüchtlinge auf dem Tempelhofer Feld eingebunden. Da gab es zuletzt eine leichte Entspannung.

Und im Franziskus-Krankenhaus?

Dort kommen in erster Linie Patienten in akuten urologischen oder gefäßmedizinischen Notlagen zu uns. Das Krankenhaus hat einen guten Ruf, insbesondere im Bereich der Urologie und Gefäßmedizin, und das spricht sich herum. Der Klassiker für solche Notfälle sind Koliken mit heftigen Schmerzen oder Verschlüsse der Beinarterien. Wir haben im Franziskus Krankenhaus etwa 15.000 Notfälle pro Jahr, davon sind nur rund sieben Prozent unfallchirurgische Notfälle wie beispielweise Frakturen.

Es heißt oft, es würden zu viele Patienten wegen Bagatellbeschwerden in die Rettungsstellen kommen anstatt etwas abzuwarten und dann zum niedergelassenen Hausarzt zu gehen. Stimmt das?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Wir arbeiten in den Rettungsstellen nach der sogenannten Manchester-Triage und behandeln die lebensbedrohlichen Fälle sofort. Sie werden als „rot“ gekennzeichnet. Es folgen in dieser Kaskade „orange“, „gelb“, „grün“ und „blau“. Die Ärzte und Pflegekräfte in den Rettungsstellen sind geschult, nach dieser Farbskala entsprechend ihre Prioritäten zu setzen. Nach unseren Auswertungen sind nur 3,3 Prozent der behandelten Fälle „blau“ und somit eigentlich in der Rettungsstelle falsch. Das sind Menschen, die am nächsten Werktag auch zum niedergelassenen Arzt hätten gehen können.

Was ist die Mehrzahl der Fälle?

55 % der Patienten, die zu uns kommen, haben Beschwerden, die man innerhalb von durchschnittlich 90 Minuten Wartezeit behandeln sollte. Meistens gehen die Patienten danach wieder nach Hause – aber es kommt auch häufig zu einer stationären Aufnahme. Das kann man vor einer Anamnese gar nicht wissen – und ein Patient mit Schmerzen kann auch nicht beurteilen, wie schwer seine Erkrankung ist. 34 Prozent der Fälle sind so schwer, dass eine Behandlung innerhalb von durchschnittlich 30 Minuten sinnvoll ist, dazu gehören zum Beispiel die meisten Knochenbrüche. Bei weniger als ein Prozent geht es wirklich um Leben und Tod – die Realität ist da etwas weniger dramatisch als im Fernsehen.

Für leichtere Erkrankungen gibt es aber eigentlich den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung ...

Das ist richtig. Allerdings ist vielen Menschen die bundesweite Rufnummer 116 117 immer noch nicht bekannt. Sie kommen lieber gleich zu uns oder rufen die 112 an.

Bei welchen Symptomen sollte man lieber eine Rettungsstelle aufsuchen anstatt den ärztlichen Bereitschaftsdienst anzurufen?

Bei akuter Atemnot, starken Brustschmerzen, starken Blutungen, hochgradiger Verdacht auf Knochenbruch, Ohnmacht oder Bewusstseinsstörung, Sehstörungen oder Sehverlust oder gar Lähmungserscheinungen sind auf jeden Fall die Rettungsstellen die richtige Adresse. Hier sollte unverzüglich der Rettungsdienst unter der 112 angerufen werden. Wenn man unsicher ist, ob eine sofortige medizinische Versorgung notwendig ist, kann man auch zunächst den ärztlichen Bereitschaftsdienst anrufen und sich weiterlotsen lassen.

Die Arbeit in der Notaufnahme stellt hohe Anforderungen an das Personal, innerhalb kurzer Zeit die richtige Entscheidung zu treffen. Wie gehen Sie damit um?

Wichtig ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Pflegekräften eingespielt ist und wie am Schnürchen klappt. Und es gehört Übung dazu. Neben den regelmäßigen Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Ärzte und Pflegepersonal bieten wir ab diesem Jahr zusammen mit dem Unfallkrankenhaus Berlin zweimal ein sogenanntes Schockraumtraining an. Das heißt: wir simulieren die Versorgung Schwerstverletzter und akut schwer erkrankter Patienten in videogestützten Simulations-Szenarien. Nur aus Fehlern kann man lernen. Und in solchen Szenarien kann man Fehler machen, ohne dass jemand dabei zu Schaden kommt.

Pressekontakt

Corinna Riemer - Leiterin Unternehmenskommunikation
Corinna Riemer
Leiterin Unternehmenskommunikation